odiug hat geschrieben:(19 Dec 2016, 12:30)
Persoenlich bin ich der Meinung, dass das Abrutschen der Mittelschicht seit der letzten Finanzkrise die eigentliche Ursache fuer den Frust der Menschen ist und das Ventil dafuer der Rechtspopulismus
Das denke ich nicht, zumindest auf Deutschland bezogen kann das nicht zutreffen. Bei uns sind in den letzten Jahren die Reallöhne in allen gesellschaftlichen Schichten so stark gestiegen wie noch nie in der Geschichte des wiedervereinigten Deutschlands. Zwischen 1990-2005 dagegen sind die Reallöhne in Deutschland sogar gesunken, da gings uns also viel schlechter. Zudem gibt es so aktuell so wenige Arbeitslose wie noch nie - halb so viele Arbeitslose wie im Jahr 2005.
Nein, wenn es nach finanziellen Sorgen ginge, dann hätte der Rechtspopulismus in Deutschland ca um die Jahrtausendwende herum grassieren müssen, aber nicht im Jahr 2016.
Habe auch erst vor kurzem von einer Umfrage gelesen, laut der ca 85% der Deutschen zufrieden mit ihrer wirtschaftlichen Situation sind. Auch das dürfte wohl ein ziemlicher Rekordwert sein.
Für mich ist relativ eindeutig, dass der gegenwärtige Rechtspopulismus seine Anziehungskraft nicht aus sozialer Abstiegsangst zieht, sondern aus kultureller Überfremdungsangst.
Dass Leute sich Sorgen machen wegen Terroranschlägen und sich Sorgen machen, was ein rückwärtsgewandter Islam (der in Nahost verbreitet ist und der durch Migrationsbewegungen ja auch bei uns in der ein oder anderen Form an die Tür klopft) für Konsequenzen für unsere Gesellschaft haben könnte, diese Sorgen kann ich durchaus nachvollziehen, und die sind auch alles andere als trivial. Ich finde nur die Reaktion vieler Leute auf ihre eigenen Ängste falsch, wenn sie sich dann nationalistischen, rückwärtsgewandten Parteien anschließen in der Hoffnung, dass die ihre Probleme irgendwie lösen könnten. Das halte ich für eine Illusion, da Nationalismus, Abschottung, Intoleranz und Rückwärtsgewandheit noch nie einer Gesellschaft gut getan haben.
Im Kern kann ich die Ängste, die diese Menschen treibt, jedoch wie gesagt durchaus verstehen. Und deshalb finde ich es schon wichtig, dass man in Dialog mit den Leuten bleibt, anstatt sie lediglich zu verachten und sich über sie lustig zu machen und so zu tun, als ob ihre Meinungen und Ängste fernab jeglicher Realität seien.
Die AfD war nicht immer bei 15%, was im Umkehrschluss bedeutet, dass man diese Menschen auch wieder für unseren modern-offenen Rechtsstaat zurückgewinnen kann. Da von vornerein zu sagen "diese Menschen sind halt verrückt, die können wir eh nie umstimmen, die werden immer bei den Rechtspopulisten bleiben (aber warum waren sie es dann nicht in der Vergangenheit?), also suchen wir gar nicht erst das Gespräch mit ihnen, sondern ignorieren sie und machen sie lächerlich, nutzt ja eh alles nichts" halte ich für die unklügste und unverantwortlichste Strategie, die man als Demokrat haben kann.