Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

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Platon
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Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

Liebe Userinnen und User

In der hiesigen Islamdiskussion gilt der Koran als das Buch des Islam und wer den Koran kennt, der kennt den Islam. So häufig die Logik, die natürlich Unsinn ist, da sich die islamische Überlieferung auch auf Hadithe und die Prophetenbiographien und diverse andere theologische Werke stützt, da der Koran eben nur eine, wenn auch die wichtigste Quelle ist. Nichtsdestotrotz fallen dann so Sätze wie „Ich habe den Koran von Anfang bis Ende gelesen und da habe ich ...“ oder gegenüber Salafisten dann gerne mal „Sie kennen den Koran sicher besser als ich, aber ...“ . Darüber hinaus heißt es ja immer, man solle die vielfach zitierten Stellen die mutmaßlich zur Gewalt oder Unterdrückung von Frauen oder Andersgläubigen etc. aufrufen im Kontext lesen. Von daher besteht ein gewisses Interesse auch bei beiläufig Interessierten sich einmal schlau zu machen.
Allerdings wenn man den Koran aufschlägt dann kommt bereits die große Enttäuschung, kein Inhaltsverzeichnis, lediglich Sure 1, kurz darunter oder auf der nächsten Seite Sure 2 und wenn man es sich dann tatsächlich antut den Text von Anfang bis Ende zu lesen, wird man in Sure 2 mit einem Konglomerat aus allem Möglichen konfrontiert. Es wird schnell klar, das so zu lesen macht nicht wirklich Sinn.
Der Grund hierfür ist, dass der Koran eben nicht wie die Bibel aufgebaut ist, eine Sammlung von Geschichten und Chroniken, die die Heilsgeschichte erzählen, sondern es ist eine Sammlung von Texten die banalerweise der Länge nach geordnet sind. Es gibt keine inhaltliche oder chronologische oder sonstige Entwicklung die sich von Anfang bis Ende des Gesamtbuches durchzieht bzw. entwickelt.
Aus diesem Grunde haben hiesige Wissenschaftler Listen der Koransuren in chronologischer Reihenfolge erstellt, sie stützen sich dabei auf äußerliche und inhaltliche Merkmale der Koransuren und natürlich, vor allem was die grobe Chronologie angeht, die islamische Überlieferung. Diese Chronologie ist im Detail dem Wikipedia-Artikel Geschichte des Korantextes zu entnehmen. Die Details kann man dort nachlesen, aber die Reihenfolge der Suren sieht im wesentlichen so aus:
1. Frühmekkanische Periode 96, 74, 111, 106, 108, 104, 107, 102, 105, 92, 90, 94, 93, 97, 86, 91, 80, 68, 87, 95, 103, 85, 73, 101, 99, 82, 81, 53, 84, 100, 79, 77, 78, 88, 89, 75, 83, 69, 51, 52, 56, 70, 55, 112, 109, 113, 114, 1
2. Mittelmekkanische Periode 54, 37, 71, 76, 44, 50, 20, 26, 15, 19, 38, 36, 43, 72, 67, 23, 21, 25, 17, 27, 18
3. Spätmekkanische Periode 32, 41, 45, 16, 30, 11, 14, 12, 40, 28, 39, 29, 31, 42, 10, 34, 35, 7, 46, 6, 13
4. Medinische Periode 2, 98, 64, 62, 8, 47, 3, 61, 57, 4, 65, 59, 33, 63, 24, 58, 22, 48, 66, 60, 110, 49, 9, 5
Im Rahmen des Corpus Coranicum wurde Nöldekes Chronologie zudem hinsichtlich der frühmekkanischen Suren weiter verfeinert. So hat Nicolai Sinai anhand des Parameters der "strukturellen Komplexität" die Suren in drei Gruppen eingeteilt. Die Suren der Gruppe I (93-95, 97, 99-102, 104-108, 111) enthalten 4 bis 11 Verse und weisen eine starke innere inhaltliche Kohärenz auf. Die Suren der Gruppe II (73, 81-82, 84-96) sind länger (15-25 Verse) und lassen sich bereits in verschiedene thematische Einheiten gliedern. Die Suren der Gruppe III schließlich sind bis zu 40 Versen lang und gliedern in sich eine größere Anzahl von thematischen Einheiten. Die Gruppe III ist noch einmal unterteilt in Gruppe IIIa (53, 74, 75, 77, 78, 79) mit einer Anzahl von Silben pro Vers, die ähnlich niedrig ist wie in Gruppen I und II, und Gruppe IIIb (51, 52, 55, 56, 68, 69, 70), in der die Länge der einzelnen Verse erheblich höher ist. Sinai betrachtet diese Gruppen als chronologisch aufeinanderfolgende Stufen des koranischen Textes.[6]
Gruppe I wird von Sinai noch weiter in verschiedene thematische und formale Textcluster unterteilt: a) die mekkabezogenen Suren 105 und 106, b) die Suren 95, 102, 103, 104 und 107 mit Ankündigungen des Jüngsten Gerichts, c) die Suren 99, 100, 101, 111 mit kurzen eschatologischen Bildern, d) die Trostsuren 93, 94 und 108 und e) Sure 97, die die Kraft der Offenbarung thematisiert. Sinai macht deutlich, dass er diese Einteilung ebenfalls als eine chronologische versteht.
Diese Chronologie weicht insofern wesentlich von der klassischen islamischen Chronologie ab, als das diese Sure 96 als erste Sure versteht. Einer außerkoranischen Überlieferung zur Folge soll Mohammed den Erzengel Gabriel in einer Höhle angetroffen haben, welcher ihm befahl vorzulesen, er konnte jedoch nicht und wurde dann mit mehr Nachdruck dazu bewegt nun doch vorzutragen, woraufhin Sure 96 Vers 1-5 vorgetragen wurde. Der Hauptgrund für diesen Bezug ist, dass das erste Wort von 96,1 „iqra“ dt trag vor, dem iqra „trag vor“ aus dem Hadith über Gabriel entspricht. Es ist jedoch aus historisch-kritischer Sicht davon auszugehen, dass es sich um eine nachträgliche Tradition handelt, die dazu biblischem Vorbildern ähnelt (2. Mos 3:11, Jeremia 1:6). Eine sehr bekannte Forscherin Angelika Neuwirth geht z.B. davon aus, dass die „Trostsuren“ 93, 94, 106, 107 und 108 als die frühesten Suren anzusehen sind.

Das spannende ist nun, dass man anhand dieser Chronologien den Korantext bzw. die koranische Offenbarung in ihrer historischen Entwicklung lesen kann. Quasi als Mitschrift einer Offenbarung hatten die koranischen Texte ja nicht nur den Charakter einer Offenbarung, sondern auch liturgischen Charakter. Dieser lässt sich bei vielen Suren anhand der literarische Struktur erkennen. So folgt bei einigen Suren auf eine hymnische und polemische Einleitung ein erzählerischer Mittelteil und ein polemischer lehrhafter oder hymnischer Schlussteil. Als Beispiel Sure 37, hier 1. Teil (1-74) 2. Teil (75-148) 3. Teil (149-182). Eine solche Komposition könnte auf eine gottesdienstähnliche Liturgie hindeuten, bei dem diese Texte zum Einsatz kamen. Diese Struktur fehlt bei den ganz kurzen ersten Suren, deren liturgische Bedeutung eher als Gebete oder eben Warnungen/Ausrufe eines (erst einmal einsamen) Predigers zu verstehen sind.

Ich hoffe in diesem Strang eine westliche historisch-kritische Lesart des Koran aufzeigen zu können, um so den Text für mich selbst und auch interessierte andere User zu erschließen. Gerade als Nicht-Moslem ist das spannend, weil man sich so einen Weg zunächst einmal abseits späterer islamischer Traditionen bahnen kann. Dabei werde ich bei Gelegenheit auch die Argumente und Gegenargumente revisionistischer Ansätze darstellen, die die historische Authentizität des Korantextes bezweifeln und ihn entweder auf einen christlichen Urtext zurückführen oder seine Entstehung 100-200 Jahre später verlegen wollen und dabei die gesamte frühislamische Geschichte einer Revision unterziehen wollen. Das ist dann ein Kreis an Forschern, der sich mit seiner „historisch-kritischen“ Forschung zum Koran von den Autoren absetzt, auf die ich mich eher beziehe.
http://www.deutschlandfunk.de/eine-unge ... e_id=84888
http://www.deutschlandfunk.de/musik-und ... _id=318396
[youtube][/youtube]
Nicolai Sinai - Die Heilige Schrift des Islams: Die wichtigsten Fakten zum Koran (!!!)



Auch relevant, zur Entstehungsgeschichte/Redaktionsgeschichte des Korans (wichtig die Redaktion unter Uthman und unter Abd al Malik):
https://de.wikipedia.org/wiki/Koran#Die ... des_Korans
[youtube][/youtube]
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Wasteland »

Vielleicht nur am Rande mit Bezug, aber was denkst du darüber das das schriftliche Arabisch zur Zeit der Niederschrift des Korans noch nicht vollständig entwickelt war und die sogenannten diakritischen Zeichen, die Mehrdeutigkeiten verhindern sollen, erst etwa 70 Jahre später hinzugefügt wurden?
D.h. Menschen die nach dem Tode Mohammeds lebten habendem Koran letztendlich ihre Interpretation aufgedrückt, ohne die Gewissheit zu haben das sie die Worte so gedeutet haben wie sie im Orginaltext gemeint waren.
Das hat mMn. gewaltige Implikationen auf das Koranverständnis oder zumindest müsste es das. Mir ist auch nicht bekannt wie Fundamentalisten mit dieser Tatsache umgehen.
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

Wasteland » Di 16. Jun 2015, 15:27 hat geschrieben:Vielleicht nur am Rande mit Bezug, aber was denkst du darüber das das schriftliche Arabisch zur Zeit der Niederschrift des Korans noch nicht vollständig entwickelt war und die sogenannten diakritischen Zeichen, die Mehrdeutigkeiten verhindern sollen, erst etwa 70 Jahre später hinzugefügt wurden?
D.h. Menschen die nach dem Tode Mohammeds lebten habendem Koran letztendlich ihre Interpretation aufgedrückt, ohne die Gewissheit zu haben das sie die Worte so gedeutet haben wie sie im Orginaltext gemeint waren.
Das hat mMn. gewaltige Implikationen auf das Koranverständnis oder zumindest müsste es das. Mir ist auch nicht bekannt wie Fundamentalisten mit dieser Tatsache umgehen.
Also diese unterschiedlichen Lesarten des Korans sind durchaus bekannt und wurden in der islamischen Tradition diskutiert, so wahnsinnig spektakulär sind die Unterschiede dann gar nicht, im Einzelfall wechselt dann mal die Person wenn aus einem ya ein ta wird beim Verb (so habe ich das jedenfalls mal gelesen, Verben auf arabisch deklinieren kann ich nicht wirklich) aber es handelt sich wohl eher um Details als um grundlegende Sachen. Es haben dann ja auch einige Zeit mehrere Lesarten gleichberechtigt nebeneinander existiert. Es ist auch davon auszugehen, dass diese Lesarten dann auch äußerst stabil waren, weil die Koransuren als liturgische Texte natürlich äußerst gewissenhaft weitergegeben wurden. Auch die alternativen Textversionen zu Uthman sind auch nicht anonym sind und teilweise über andere islamische Literatur die sich auf diese Texte beziehen überliefert. Aber auch da geht es wohl hauptsächlich um eine andere Surenanordnung, das teilweise Suren fehlen bzw. Teile davon und sehr viel das Synonyme Wörter verwendet wurden. Ich weiß jetzt auch nicht mehr genau wo ich das gelesen habe, aber so wahnsinnig spektakulär ist das wohl alles gar nicht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Lesarten_des_Korans
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

Interessant ist auch der Manuskriptfund von Sanaa 1972. Dort wurde bei Restaurationsarbeiten einer Moschee ein Lager für alte Korane gefunden und unter Zigtausenden von Manuskriptseiten waren auch welche, die zu einem nicht-uthmanischen Koran gehören. Wobei diese Seiten ursprünglich einen solchen Koran enthielten, dann allerdings abgewaschen wurden und mit einem Standart-Text überschrieben wurden. Der ursprüngliche Text konnte allerdings rekonstruiert und mit dem Text von Uthman und dem vergleichen werden, was in der islamischen Tradition über die anderen nicht-uthmanischen Korane von Ubaiy ibn Kaʿb und ʿAbdallāh ibn Masʿūd bekannt ist. Diese Varianz im Korantext steht natürlich in einem offensichtlichen Spannungsverhältnis zu der islamischen Lehrmeinung, dass der Koran ungeschaffenes Wort Gottes sei. Auch wenn die inhaltlichen Varianten sich durchaus in Grenzen halten. Darum ist die Arbeit an diesem Manuskript und die Erarbeitung einer koranischen Redaktionsgeschichte, wie sie ja bezüglich der Bibel von der historisch-kritischen Forschung geleistet wurde, aus islamischer Sicht eine ziemlich kontroverse Sache.

engl. Wiki: Sana'a manuscript (die Links ganz unten sind hilfreich)
Veröffentlichung der Forschungsergebnisse durch zwei Forscher, nachdem die ursprünglich zuständigen deutschen Forscher jahrzehntelang keine Komplettedition publizierten, da hat es wohl auch ziemliche Querelen gegeben wer nun publiziert und den Ruhm einfährt.
Ṣan‘ā’ 1 and the Origins of the Qur’ān - Behnam Sadeghi and Mohsen Goudarzi (Stanford University / Harvard University)

Abstract

The lower text of Ṣan‘ā’ 1 is at present the most important document for the history of the Qur’ān. As the only known extant copy from a textual Tradition beside the standard ‘Uthmānic one, it has the greatest potential of any known manuscript to shed light on the early history of the scripture. Comparing it with parallel textual traditions provides a unique window onto the initial state of the text from which the different traditions emerged. The comparison settles a perennial controversy about the date at which existing passages were joined together to form the sūras (chapters). Some ancient reports and modern scholars assign this event to the reign of the third caliph and link it with his standardizing the text of the Qur’ān around AD 650. However, the analysis shows that the sūras were formed earlier. Furthermore, the manuscript sheds light on the manner in which the text was transmitted. The inception of at least some Qur’ānic textual traditions must have involved semi-oral transmission, most likely via hearers who wrote down a text that was recited by the Prophet. This essay argues for these conclusions by considering the broad features of the text. The essay also presents the edited text of the folios in the Dār al-Makhṭūṭāt, Ṣan‘ā’, Yemen, in addition to four folios that were auctioned abroad. A systematic analysis of all the variants is postponed to future publications.
http://de.scribd.com/doc/110978941/Sana ... the-Qur-An

Auch hier wieder:
1. die inhaltlichen Varianten halten sich in Grenzen und betreffen hauptsächlich einzelne Wörter
2. Die Edition der einzelnen Suren entspricht dem Uthmanischen Koran was eine frühere Edition der einzelnen Suren, möglicherweise durch Mohammed selbst nahe legt.
3. Die Unterschiede entsprechen in ihrer Bedeutung in etwa dem was über die bekannten nicht-uthmanischen Varianten überliefert ist, wenngleich es sich hier um eine weitere nicht-uthmanische Variante handelt und nicht um die von ibn Ka'b oder ibn Masud..

Hier ein Video das aber noch vor der obigen Veröffentlichung gemacht wurde mit dem zuständigen deutschen Forscher der aber nicht voran gemacht hat mit einer vernünftigen Publikation.
[youtube][/youtube]




Ein ähnliches Projekt, das im Video im Eingangsbeitrag "Wie entstand der Koran" ab 43:15 erwähnt wird ist ein Foto-Archiv von Goffhelf Bergsträsser, welcher eine Menge Fotos alter Korane gemacht hat. Diese Sammlung wird aktuell im Projekt Corpus Coranicum ausgewertet. Ich nehme an man hofft auch hier auf Varianten zu stoßen, die auf eine Redaktionsgeschichte schließen lassen. Diese Forschungen sind aber sehr zeitaufwendig, weil zigtausende Seiten Manuskript bzw. Fotos davon ausgewertet werden müssen und es wird noch lange dauern bis man da große Fortschritte gemacht hat. Wenn man sich aber die bisherigen Überlieferungsvarianten ansieht, ist allzu Spektakuläres aber wohl auch da nicht zu erwarten. Das Kontroverse daran ist, dass man mit dem Schreiben eine Redaktionsgeschichte des Koran in frühislamischer Zeit daran arbeitet ein islamisches Dogma wissenschaftlich zu widerlegen.
Zuletzt geändert von Platon am Mi 17. Jun 2015, 11:41, insgesamt 4-mal geändert.
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

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Platon » Di 16. Jun 2015, 19:10 hat geschrieben: Also diese unterschiedlichen Lesarten des Korans sind durchaus bekannt und wurden in der islamischen Tradition diskutiert, so wahnsinnig spektakulär sind die Unterschiede dann gar nicht, im Einzelfall wechselt dann mal die Person wenn aus einem ya ein ta wird beim Verb (so habe ich das jedenfalls mal gelesen, Verben auf arabisch deklinieren kann ich nicht wirklich) aber es handelt sich wohl eher um Details als um grundlegende Sachen. Es haben dann ja auch einige Zeit mehrere Lesarten gleichberechtigt nebeneinander existiert. Es ist auch davon auszugehen, dass diese Lesarten dann auch äußerst stabil waren, weil die Koransuren als liturgische Texte natürlich äußerst gewissenhaft weitergegeben wurden. Auch die alternativen Textversionen zu Uthman sind auch nicht anonym sind und teilweise über andere islamische Literatur die sich auf diese Texte beziehen überliefert. Aber auch da geht es wohl hauptsächlich um eine andere Surenanordnung, das teilweise Suren fehlen bzw. Teile davon und sehr viel das Synonyme Wörter verwendet wurden. Ich weiß jetzt auch nicht mehr genau wo ich das gelesen habe, aber so wahnsinnig spektakulär ist das wohl alles gar nicht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Lesarten_des_Korans
Ich bin trotzdem erstaunt mit welcher Selbstverständlichkeit im Islam regelmässig immer davon ausgegangen wird das die mündlichen Überlieferungen fehlerfrei sind, seien es nun der Koran oder die Hadithe.
Nur weil irgendwelche Personen dabei involviert waren die man im Nachhinein als glaubwürdig einstuft.
So als ob diese nicht fehlen könnten.
Das es auch "unzulässige" Lesarten des Urkorans gibt deutet ja daraufhin das man Zweifel einfach mit Verboten hinwegwischen wollte.
Das es verschiedene Möglichkeiten gibt den Urkoran zu lesen und zu deuten sollte einem schon zu denken geben, völlig egal worauf sich die späteren Ulama festgelegt haben.
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

Wasteland » Mi 17. Jun 2015, 13:42 hat geschrieben:Ich bin trotzdem erstaunt mit welcher Selbstverständlichkeit im Islam regelmässig immer davon ausgegangen wird das die mündlichen Überlieferungen fehlerfrei sind, seien es nun der Koran oder die Hadithe.
Nun beim Koran gibt es halt das Dogma von der Unerschaffenheit des Koran, das ja durch die ganze Mutazila-Diskussion die in ihrer Mihna die Erschaffenheit durchsetzen wollten, zum ultimativen Glaubensdogma wurde. Gerade die Geschichte mit den unterschiedlichen Versionen zeigt ja, dass ja im Frühislam durchaus Varianten erlaubt waren.

Was die Hadithe angeht werden diese ja durchaus von Zeit zu Zeit einer Neuinterpretation unterzogen, z.B. von den Salafisten und einem ihrer Vordenker al Albani, der die traditionellen Hadith-Sammlungen einer strengen Kritik unterzog und damit die heutigen Salafisten stark beeinflusste. Also so selbstverständlich nimmt man das gar nicht. Es ist halt immer eine Frage wie man mit der Überlieferungstradition oder Tradition allgemein umgeht.
Nur weil irgendwelche Personen dabei involviert waren die man im Nachhinein als glaubwürdig einstuft.
So als ob diese nicht fehlen könnten.
Das es auch "unzulässige" Lesarten des Urkorans gibt deutet ja daraufhin das man Zweifel einfach mit Verboten hinwegwischen wollte.
Das es verschiedene Möglichkeiten gibt den Urkoran zu lesen und zu deuten sollte einem schon zu denken geben, völlig egal worauf sich die späteren Ulama festgelegt haben.
Ist halt die Frage ob es historisch wirklich einen Urkoran gegeben hat oder ob nicht von Anfang an verschiedene leicht abweichende Überlieferungstraditionen gegeben hat. Aber grundsätzlich gibt es ja das Prinzip des Konsens der Muslime und wenn der sagt, dass z.B. der Uthmanische Text der allgemein gültige ist, dann muss man das nicht weiter hinterfragen. Weil selbst die Schiiten akzeptieren diesen Text ja, auch wenn etwas widerwillig zum Teil.
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Ferit »

Platon » Di 16. Jun 2015, 13:05 hat geschrieben:Aus diesem Grunde haben hiesige Wissenschaftler Listen der Koransuren in chronologischer Reihenfolge erstellt, sie stützen sich dabei auf äußerliche und inhaltliche Merkmale der Koransuren und natürlich, vor allem was die grobe Chronologie angeht, die islamische Überlieferung. Diese Chronologie ist im Detail dem Wikipedia-Artikel Geschichte des Korantextes zu entnehmen. Die Details kann man dort nachlesen, aber die Reihenfolge der Suren sieht im wesentlichen so aus:




Diese Chronologie weicht insofern wesentlich von der klassischen islamischen Chronologie ab, als das diese Sure 96 als erste Sure versteht. Einer außerkoranischen Überlieferung zur Folge soll Mohammed den Erzengel Gabriel in einer Höhle angetroffen haben, welcher ihm befahl vorzulesen, er konnte jedoch nicht und wurde dann mit mehr Nachdruck dazu bewegt nun doch vorzutragen, woraufhin Sure 96 Vers 1-5 vorgetragen wurde. Der Hauptgrund für diesen Bezug ist, dass das erste Wort von 96,1 „iqra“ dt trag vor, dem iqra „trag vor“ aus dem Hadith über Gabriel entspricht. Es ist jedoch aus historisch-kritischer Sicht davon auszugehen, dass es sich um eine nachträgliche Tradition handelt, die dazu biblischem Vorbildern ähnelt (2. Mos 3:11, Jeremia 1:6). Eine sehr bekannte Forscherin Angelika Neuwirth geht z.B. davon aus, dass die „Trostsuren“ 93, 94, 106, 107 und 108 als die frühesten Suren anzusehen sind.

Das spannende ist nun, dass man anhand dieser Chronologien den Korantext bzw. die koranische Offenbarung in ihrer historischen Entwicklung lesen kann. Quasi als Mitschrift einer Offenbarung hatten die koranischen Texte ja nicht nur den Charakter einer Offenbarung, sondern auch liturgischen Charakter. Dieser lässt sich bei vielen Suren anhand der literarische Struktur erkennen. So folgt bei einigen Suren auf eine hymnische und polemische Einleitung ein erzählerischer Mittelteil und ein polemischer lehrhafter oder hymnischer Schlussteil. Als Beispiel Sure 37, hier 1. Teil (1-74) 2. Teil (75-148) 3. Teil (149-182). Eine solche Komposition könnte auf eine gottesdienstähnliche Liturgie hindeuten, bei dem diese Texte zum Einsatz kamen. Diese Struktur fehlt bei den ganz kurzen ersten Suren, deren liturgische Bedeutung eher als Gebete oder eben Warnungen/Ausrufe eines (erst einmal einsamen) Predigers zu verstehen sind.
Vielen Dank für diese Informationen! Findet man online eine solche Ausgabe, die den Koran chronologisch ordnet?
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von PublicEye »

Ferit » Sa 20. Jun 2015, 12:35 hat geschrieben: Vielen Dank für diese Informationen! Findet man online eine solche Ausgabe, die den Koran chronologisch ordnet?
Natürlich gibt es das, sonst wüsste man ja nicht, welche Suren nasikh sind, also aufgrund der Abrogation praktisch nicht mehr existent sind.

DIE CHRONOLOGISCHE REIHENFOLGE DER KORANSUREN NACH NÖLDEKE
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

PublicEye » Sa 20. Jun 2015, 15:08 hat geschrieben: Natürlich gibt es das, sonst wüsste man ja nicht, welche Suren nasikh sind, also aufgrund der Abrogation praktisch nicht mehr existent sind.

DIE CHRONOLOGISCHE REIHENFOLGE DER KORANSUREN NACH NÖLDEKE
ich glaube was Ferit meinte ist ob es eine eigene Koranedition gibt in dem die Verse chronologisch geordnet sind, wo man das also quasi einfach runter lesen kann, ist mir aber nicht bekannt, die Liste in deinem Link steht ja auch im Eingangsbeitrag.

Bezüglich der Abrogation, so ist das auch nicht so einfach. Am Anfang hat man wohl ziemlich viel abrogiert, also Regelungen aufgehoben die vorher gegolten haben. Das nahm dann wohl zwischendurch recht makabere Formen an. Denn eine solche Abrogation impliziert ja auch eine gewisse Unperfektheit des Koran, wenn die Hälfte darin aufgehoben ist. Daher haben spätere Autoren widersprechende Aussagen dann eher als Einschränkungen gesehen und so versucht alles ein wenig zu harmonisieren, teilweise wird heutzutage Abrogation auch komplett abgelehnt. Der Wiki-Artikel den du gelesen hast wurde zwischenzeitlich erweitert. :)
Abrogation (Islam) Spätere Einschränkungen des Abrogationsprinzips beim Koran
Zuletzt geändert von Platon am Sa 20. Jun 2015, 15:28, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von PublicEye »

Platon » Sa 20. Jun 2015, 15:21 hat geschrieben: ich glaube was Ferit meinte ist ob es eine eigene Koranedition gibt in dem die Verse chronologisch geordnet sind, wo man das also quasi einfach runter lesen kann, ist mir aber nicht bekannt, die Liste in deinem Link steht ja auch im Eingangsbeitrag.
Aha, das war die Frage...
Da man weiss, dass Uthman sowohl Orginiale des Korans verschwinden lies und sie vernichtete, als auch den Text editierte, ist es schliesslich egal, ob die Suren chronologisch, oder der Länge nach geordnet wurden.







Platon » Sa 20. Jun 2015, 15:21 hat geschrieben:Bezüglich der Abrogation, so ist das auch nicht so einfach. Am Anfang hat man wohl ziemlich viel abrogiert, also Regelungen aufgehoben die vorher gegolten haben. Das nahm dann wohl zwischendurch recht makabere Formen an. Denn eine solche Abrogation impliziert ja auch eine gewisse Unperfektheit des Koran, wenn die Hälfte darin aufgehoben ist. Daher haben spätere Autoren widersprechende Aussagen dann eher als Einschränkungen gesehen und so versucht alles ein wenig zu harmonisieren, teilweise wird heutzutage Abrogation auch komplett abgelehnt.
Ja klar, diese "Harmonisierung" geht Hand in Hand mit dem Erstarken der Islamisten und ihrem radikalen Islam, wie ihn Mohammed lehrte und vorlebte.
Da kann man nicht abrogieren.

Trotzdem bleiben die Widersprüche und es kommt somit auf die persönliche Präferenz an, zu welchen Aussagen man sich gesellt.
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Ferit »

PublicEye » Sa 20. Jun 2015, 16:42 hat geschrieben: Aha, das war die Frage...
Da man weiss, dass Uthman sowohl Orginiale des Korans verschwinden lies und sie vernichtete, als auch den Text editierte [...]
Quelle?
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von PublicEye »

Ferit » So 5. Jul 2015, 06:40 hat geschrieben: Quelle?
Das ist Allgemeinwissen Ferit, das weisst du nicht...???
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Jekyll&Hyde »

PublicEye » Sa 20. Jun 2015, 15:42 hat geschrieben: Da man weiss, dass Uthman sowohl Orginiale des Korans verschwinden lies und sie vernichtete, als auch den Text editierte, ist es schliesslich egal, ob die Suren chronologisch, oder der Länge nach geordnet wurden.
Gleiches hat man mit der Bibel getan. Auch das ist Allgemeinwissen. Glaubst du wirklich, darin das Wort, Zeugnis und den Willen eines Gottes zu erkennen? Weil, da stört es dich nicht.... :D
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Ferit »

PublicEye » Mo 6. Jul 2015, 13:30 hat geschrieben: Das ist Allgemeinwissen Ferit, das weisst du nicht...???
Also wieder mal eine haltlose Behauptung. :)
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

In England wurde ein weiteres verstaubtes Koranfragment radiocarbondatiert und siehe da, 1370 Jahre alt, d.h. 645 n. Chr als ältestmögliches Datum und steht damit in einer Reihe mit den bereits im Strang genannten ältesten Koranfragmenten. Es hat dazu einige diakritische Punkte, was ein Beleg ist, dass der Korantext zuerst mit diakritischen Zeichen um verschiedene Konsonanten zu unterscheiden aufgeschrieben wurde und erst später die Vokalisation notiert wurde.
http://www.bbc.com/news/business-33436021
'Oldest' Koran fragments found in Birmingham University

What may be the world's oldest fragments of the Koran have been found by the University of Birmingham.

Radiocarbon dating found the manuscript to be at least 1,370 years old, making it among the earliest in existence.

The pages of the Muslim holy text had remained unrecognised in the university library for almost a century.

The British Library's expert on such manuscripts, Dr Muhammad Isa Waley, said this "exciting discovery" would make Muslims "rejoice".

The manuscript had been kept with a collection of other Middle Eastern books and documents, without being identified as one of the oldest fragments of the Koran in the world.
Wer weiß was noch für Schätze in den Handschriftensammlungen westlicher Universitäten und privater Sammler zu heben sind.



Edith:
Birmingham – Es dürfte eines der ältesten Koran-Manuskripte der Welt sein, vielleicht sogar das älteste erhalten gebliebene: Forscher haben zwei Pergamentblätter aus dem Besitz der Universität Birmingham etwa auf das Jahr 600 datiert. Lange Zeit waren die Pergamentblätter, die die Suren 18 bis 20 umfassen, irrtümlich mit einem ähnlichen Koran-Manuskript zusammengebunden, das auf das späte siebente Jahrhundert datiert ist.

Nun erbrachte die Untersuchung der Blätter aber ein ganz anderes Ergebnis: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95,4 Prozent sei das Manuskript zwischen 568 und 645 entstanden, teilte die Hochschule mit. Die Schrift könnte damit aus der Zeit des Religionsgründers Mohammed stammen und wäre eine der ältesten erhaltenen Versionen des Korans. Ermittelt wurde dies mit der Radiokarbonmethode in einem Labor der Oxford-Universität.
[...]
http://mobil.derstandard.at/20000195456 ... ?ref=artwh
Zuletzt geändert von Platon am Mi 22. Jul 2015, 19:33, insgesamt 2-mal geändert.
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Demolit

Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Demolit »

"ngl. Wiki: Sana'a manuscript (die Links ganz unten sind hilfreich)
Veröffentlichung der Forschungsergebnisse durch zwei Forscher, nachdem die ursprünglich zuständigen deutschen Forscher jahrzehntelang keine Komplettedition publizierten, da hat es wohl auch ziemliche Querelen gegeben wer nun publiziert und den Ruhm einfährt."

Darfst dich mal fragen..und frag auch den Tilmann Nagel ( https://de.wikipedia.org/wiki/Tilman_Nagel) mal.............warum das so ist war und sein wird ...

lach und echt ;)
Wähler
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Wähler »

http://www.sueddeutsche.de/panorama/gas ... -1.2767483
SZ 4. Dezember 2015 Wo der Koran Anknüpfungspunkte für Gewalt bietet
Kommentar von Abdel-Hakim Ourghi
In den Teilen des Korans, die in Medina offenbart wurden, findet sich ein ganzes Sündenregister von Juden, Christen und arabischen Heiden, das letztendlich als Rechtfertigung für den bewaffneten Umgang des Propheten dient. Durch die alltägliche Rezitation dieser umstrittenen Verse legitimieren viele Muslime bis heute unbewusst diese Gewalt im religiösen Leben.
Es reicht aber nicht, die Offenbarung des Korans in ihrer historischen Entstehungssituation zu verstehen. Darüber hinaus muss auch eine Methode entwickelt werden, welche den Islam auf der Grundlage einer kritischen Reflexion von der Macht dieser umstrittenen Koranverse befreit.
Ist an dieser Interpretation etwas dran? Womit hängt der Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten in Syrien und im Irak zusammen?
Zeitungstexte bei Genios mit Bibliotheksausweis kostenlos: https://www.wiso-net.de/login?targetUrl=%2Fdosearch (Zugang auch bundesweit)
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Platon
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

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Fuerst_48
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Fuerst_48 »

Was irritiert: Es gibt strenge und weniger strenge Bibelauslegungen. Aber am Korantext darf kein Beistrich in Zweifel gezogen werden. Das irritiert einen kritischen Denker wie mich zutiefst.
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Platon
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

Fuerst_48 hat geschrieben:(25 Mar 2016, 10:05)

Was irritiert: Es gibt strenge und weniger strenge Bibelauslegungen. Aber am Korantext darf kein Beistrich in Zweifel gezogen werden. Das irritiert einen kritischen Denker wie mich zutiefst.
Das ist eine sehr simplistische Denkweise, die den Umgang mit Bibel- und Korantext zu stark vereinfacht. Allein die Formulierung es würde strenge oder weniger strenge Auslegungen geben geht am Kern der Sache vorbei. Jede Bibelinterpretation hat den Anspruch die Wahrheit zu behaupten, man bewegt sich nur auf unterschiedlichen Weisen zu dieser Wahrheit. Es geht ja kein Theologe - zumindest kein echter - hin und sagt, das gefällt mir nicht, das mag Gott oder ein göttlich inspirierter vielleicht gemeint haben, aber das kann ja wohl nicht sein ernst sein - ich will lieber was Anderes. Weil das ist dann keine ernsthafte Interpretation mehr, sondern ein Wunschkonzert. Eine ernsthafte Interpretation muss immer erstmal ergebnisoffen sein. Die historisch-kritische Methode wird heutzutage von einigen Bibelinterpreten (bei weiten nicht von allen weltweit) angewandt, weil sie einen Umgang mit dem Quellentext mit modernen wissenschaftlichen Methoden bietet und sie eindrucksvolle Ergebnisse geliefert hat, z.B. was die Redaktionsgeschichte der Bibel angeht, die dann nicht mehr so ohne Weiteres zu ignorieren sind.
https://de.wikipedia.org/wiki/Historisc ... he_Methode

Es geht auch nicht darum den Text "in Zweifel zu ziehen". Es geht bei der Interpretation von religiösen Quellentexten ja nicht darum einen Text zu lesen und sich dann zu überlegen, was stimmt und was nicht. Sondern es geht darum sich die Frage zu stellen welchen Informationswert eine bestimmte Aussage besitzt, da kann man sich dann fragen, was war damals gemeint, was sagt einem das heute? Welche allgemeinen Schlussfolgerungen lassen sich ableiten? Eine christliche Bibelexegese die am Ende zu dem Schluss kommt, dass was in der Bibel steht Quatsch ist, hat das Thema verfehlt.

Und natürlich wird auch der Koran interpretiert und das auch nicht erst seit heute sondern schon immer, einfach weil es anders nicht geht. Denn es gibt im Koran Verse die sind recht klar, wie z.B. rechtliche Anweisungen, und es gibt solche die sind alles andere als klar und unterschiedliche Strömungen kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen, Ein gutes Beispiel hierzu ist Sure 4 Vers 59:
O ihr, die ihr glaubt, gehorcht Allah und gehorcht dem Gesandten und denen, die unter euch Befehlsgewalt besitzen. Und wenn ihr über etwas streitet, so bringt es vor Allah und den Gesandten, wenn ihr an Allah glaubt und an den Jüngsten Tag. Das ist das Beste und nimmt am ehesten einen guten Ausgang.
http://islam.de/13827.php?sura=4
Wer denn nun die sind die "Befehlsgewalt" besitzen, "die zu befehlen haben" die "Inhaber der Autorität" sind, darüber kann man freilich streiten. Die islamischen Gelehrten? Die weltlichen Herrscher? Die jeweiligen Imame?

Dazu gibt es auch im Koran in Sure 7 Vers 9 einen Text, welcher darauf verweist, dass es im Koran klare und unklare Verse gibt:
Er ist es, Der das Buch (als Offenbarung) auf dich herabgesandt hat. Dazu gehören eindeutige Verse – sie sind der Kern des Buches – und andere, mehrdeutige. Was aber diejenigen angeht, in deren Herzen (Neigung zum) Abschweifen ist, so folgen sie dem, was davon mehrdeutig ist, im Trachten nach Irreführung und im Trachten nach ihrer Mißdeutung. Aber niemand weiß ihre Deutung außer Allah. Und diejenigen, die im Wissen fest gegründet sind, sagen: „Wir glauben daran; alles ist von unserem Herrn.“ Aber nur diejenigen bedenken, die Verstand besitzen.
http://islam.de/13827.php?sura=3

Aus Stellen wie dieser wurde dann klar, dass der Koran einen äußeren und inneren Sinn hat und dieser könne dann entdeckt werden:
https://en.wikipedia.org/wiki/Esoteric_ ... _the_Quran

Je nachdem welche Strömung gab es dann Leute, welche diesen inneren Sinn etwas intensiver gesucht haben, als andere. Von daher war es im Islam allgemein immer so, dass auch der Koran unterschiedlich interpretiert wurde, auch wenn natürlich manche Strömungen mehr Anhänger hatten als Andere.
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Fuerst_48
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Fuerst_48 »

Platon hat geschrieben:(25 Mar 2016, 12:36)

Das ist eine sehr simplistische Denkweise, die den Umgang mit Bibel- und Korantext zu stark vereinfacht. Allein die Formulierung es würde strenge oder weniger strenge Auslegungen geben geht am Kern der Sache vorbei. Jede Bibelinterpretation hat den Anspruch die Wahrheit zu behaupten, man bewegt sich nur auf unterschiedlichen Weisen zu dieser Wahrheit. Es geht ja kein Theologe - zumindest kein echter - hin und sagt, das gefällt mir nicht, das mag Gott oder ein göttlich inspirierter vielleicht gemeint haben, aber das kann ja wohl nicht sein ernst sein - ich will lieber was Anderes. Weil das ist dann keine ernsthafte Interpretation mehr, sondern ein Wunschkonzert. Eine ernsthafte Interpretation muss immer erstmal ergebnisoffen sein. Die historisch-kritische Methode wird heutzutage von einigen Bibelinterpreten (bei weiten nicht von allen weltweit) angewandt, weil sie einen Umgang mit dem Quellentext mit modernen wissenschaftlichen Methoden bietet und sie eindrucksvolle Ergebnisse geliefert hat, z.B. was die Redaktionsgeschichte der Bibel angeht, die dann nicht mehr so ohne Weiteres zu ignorieren sind.
https://de.wikipedia.org/wiki/Historisc ... he_Methode

Es geht auch nicht darum den Text "in Zweifel zu ziehen". Es geht bei der Interpretation von religiösen Quellentexten ja nicht darum einen Text zu lesen und sich dann zu überlegen, was stimmt und was nicht. Sondern es geht darum sich die Frage zu stellen welchen Informationswert eine bestimmte Aussage besitzt, da kann man sich dann fragen, was war damals gemeint, was sagt einem das heute? Welche allgemeinen Schlussfolgerungen lassen sich ableiten? Eine christliche Bibelexegese die am Ende zu dem Schluss kommt, dass was in der Bibel steht Quatsch ist, hat das Thema verfehlt.

Und natürlich wird auch der Koran interpretiert und das auch nicht erst seit heute sondern schon immer, einfach weil es anders nicht geht. Denn es gibt im Koran Verse die sind recht klar, wie z.B. rechtliche Anweisungen, und es gibt solche die sind alles andere als klar und unterschiedliche Strömungen kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen, Ein gutes Beispiel hierzu ist Sure 4 Vers 59:

http://islam.de/13827.php?sura=4
Wer denn nun die sind die "Befehlsgewalt" besitzen, "die zu befehlen haben" die "Inhaber der Autorität" sind, darüber kann man freilich streiten. Die islamischen Gelehrten? Die weltlichen Herrscher? Die jeweiligen Imame?

Dazu gibt es auch im Koran in Sure 7 Vers 9 einen Text, welcher darauf verweist, dass es im Koran klare und unklare Verse gibt:

http://islam.de/13827.php?sura=3

Aus Stellen wie dieser wurde dann klar, dass der Koran einen äußeren und inneren Sinn hat und dieser könne dann entdeckt werden:
https://en.wikipedia.org/wiki/Esoteric_ ... _the_Quran

Je nachdem welche Strömung gab es dann Leute, welche diesen inneren Sinn etwas intensiver gesucht haben, als andere. Von daher war es im Islam allgemein immer so, dass auch der Koran unterschiedlich interpretiert wurde, auch wenn natürlich manche Strömungen mehr Anhänger hatten als Andere.
Letztlich geht es aber dennoch um eine bindende (gemeint authentische) Auslegung. Die von mir angesprochene Enge hat ja zu diversen Spaltungen geführt. Ob orthodox, evangelisch AB oder HB, sunnitisch oder schiitisch, ist dabei sekundär.
Glauben ist einfach individuell geprägt und auch dadurch mitbestimmt, wie sehr oder wenig ich jemand Glaubenslehreren akzeptiert oder in Zweifel zieht. Der absolute Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche ist so ein Musterbeispiel.
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Platon
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Re: Der Koran aus historisch-kritischer Sicht

Beitrag von Platon »

Es ist sicherlich mal auch hilfreich ein Wort darüber zu verlieren, was die historisch-kritische Methode eigentlich ist. Es geht dabei mit wissenschaftlichen Methoden einen Text zu untersuchen um diesen so besser verstehen und in seinen historischen Kontext einordnen zu können.

Der Text wird dabei z.B. mit folgenden Methoden bearbeitet:
1. Textkritik: Vergleich der Handschriften
2. Übersetzung aus dem Hebräischen bzw. Griechischen
3. Textanalyse: Die Struktur des Textes
4. Redaktionsgeschichte: der Umgang des Autors mit seinen Quellen
5. Literarkritik: Rekonstruktion der Quellen
6. Formgeschichte: Bestimmung der Textgattung
7. Traditionsgeschichte: Die zugrunde liegende mündliche Überlieferung
8. Begriffs- und Motivgeschichte: wie sich Vorstellungen entwickelten
9. Religionsgeschichte: Vergleich mit außerbiblischen Texten
10. Zusammenfassende Interpretation und theologische Aussage(n)
Wiki Die Methodenschritte der historisch-kritischen Methode

Weitere schnell gegooglete Links:
Bibelauslegung, historisch-kritische (AT) (!)
Einführung in die historisch-kritische Methode der Textinterpretation
Die historisch-kritische Methode
Historisch-kritische Bibelauslegung . . .
Die historisch-kritische Methode der Bibelauslegung
http://www.zum.de/Faecher/kurse/boeing/ ... ch-kri.pdf


So ein bisschen einen historischen Zugang zum Korantext gibt es auch in der islamischen Überlieferung. Denn dort gibt es zwar die Vorstellung eines Ur-Korans, welcher bereits vor der eigentlichen Verkündigung existiert hat. Der Korantext den wir heute haben ist dann dieser Text in offenbarter Form in arabischer Sprache. Allerdings geschah die koranische Offenbarung bekanntlich nicht auf einen Schlag sondern sie nahm einen historischen Verlauf, d.h. manche wurden in Mekka, manche in Medina offenbar etc. Darum gibt es die islamische Wissenschaft der Offenbarungsanlässe, welche zu jedem Koranvers den konkreten historischen Anlass herausgearbeitet hat und es gibt die Vorstellung der Abrogation, d.h. das bestimmte Verse historisch zuvor offenbarte Aufheben oder Einschränken. Von daher wurde der Korantext immer schon als ein Text verstanden, der einen bestimmten historischen Kontext hat. Allerdings hat er den Anspruch dem Ur-Koran im „Himmel“ zu entsprechen, also die Rede Gottes zu sein, und damit ein Text der nicht von Menschen geschrieben wurde, sondern lediglich für Menschen von Gott offenbart, was dann zur Notwendigkeit der Interpretation führt. Die Vorstellung der Koran sei das direkte Wort Gottes setzt der historischen Einordnung dieser Rede natürlich gewisse Grenzen, wenngleich die traditionelle Sichtweise den Text wie gesagt keineswegs völlig ahistorisch versteht.

In Deutschland gibt es mit dem Projekt Corpus Coranicum nun einen größer angelegten Versuch die historisch-kritische Forschung voran zu treiben. Es werden die ältesten koranischen Handschriften intensiv untersucht, d.h. digitalisiert und systematisch ausgewertet werden. Das ist Schritt 1: Textkritik: Vergleich der Handschriften. Es werden Texte aus dem unmittelbaren Umfeld der islamischen Offenbarung ausgewertet, auf diese Weise wird der Korantext als Teil seiner spätantiken Umwelt greifbar, der Text wird sozusagen zum Leben erweckt und man kann Vergleiche zu anderen Texten herstellen, auf die im Koran geantwortet und sich bezogen wird. Das ist Schritt 4 und Schritt 5 der obigen Liste. Dazu schaut man sich die literarische Form der Texte selber an, welche literarischen Gattungen (Gebete, liturgische Texte für eine Art Gottesdienst, juristische Regelungen) und sprachlichen Formen (Allegorien, sprachliche Besonderheiten) finden sich im Koran? Der koranische Text wird so als Teil seiner Umwelt historisch zum Leben erweckt und kann als „Mitschrift einer Offenbarung“ oder „Mitschrift in der Entwicklung einer Gemeinde“ verstanden werden.
Ist der Koran eine Botschaft an die Heiden der arabischen Halbinsel, die innerhalb von nur 22 Jahren zur Gründung einer neuen Religion geführt hat? Ist er die schon kurz nach dem Tod ihres Verkünders kanonisierte heilige Schrift, die uns dennoch authentisch erhalten ist? Angesichts des beispiellosen Erfolgs des Koran ist es kein Wunder, daß diese Darstellung immer wieder in Frage gestellt und Hypothesen formuliert werden, die die frühislamische Geschichte umschreiben und den Koran in einer anderen Region, zu einer anderen Zeit und sogar ohne die Mitwirkung Muhammads entstehen lassen. Alle bisherigen Rekonstruktionen sind aber miteinander unvereinbar und ergeben kein plausibles Bild der Ereignisse, sondern werfen nur zahllose neue Probleme auf.

Die Frage muß anders lauten: Ist der Koran wirklich ein rein islamischer und damit dem westlichen Leser fremder Text? Oder ist er nicht eher eine neue und eigenwillige Stimme in jenem Konzert spätantiker Debatten, mit denen auch die theologischen Grundlagen der jüdischen und christlichen Religion gelegt worden sind? Nicht den Koran müssen wir aufgrund neuer Handschriftenfunde oder mit Hilfe linguistischer Experimente ummodellieren – unsere Perspektive auf den Koran müssen wir entscheidend ändern, wenn wir seine revolutionäre Neuheit in den Blick bekommen wollen. Angelika Neuwirth, Leiterin des Projekts Corpus Coranicum – Dokumentierte Edition und historisch-literaturwissenschaftlicher Kommentar an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, liest den Koran als Text der Spätantike, einer Epoche, die auch für die europäische Kulturgeschichte formativ war. Der Koran wird so als ein vertrauter Text erkennbar, den wir unbeschadet zum 'europäischen Erbe' rechnen könnten, trennten ihn nicht uralte Vorurteile von einer unvoreingenommenen Wahrnehmung.
Angelika Neuwirth - Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang
n ihrem 2010 im Verlag der Weltreligionen erschienenen Buch „Der Koran als Text der Spätantike“ hat Angelika Neuwirth die Grundlage für ihre fünfbändige Übersetzung und Kommentierung des Koran gelegt (Abschluss voraussichtlich 2014/2015). Der nun folgende erste Band enthält die Anfänge der Verkündigung Muhammads. In chronologischer Ordnung, beginnend mit der vermutlich ältesten Sure 93, analysiert und deutet Neuwirth die Entwicklung seiner prophetischen Botschaft. Jede Sure wird in Umschrift und neuer Übersetzung vorgestellt und dann eingehend kommentiert. Herzstück eines jeden Surenkommentars ist eine Vers-für-Vers-Auslegung, in der neben sprachlichen und inhaltlichen Erläuterungen die denkerische Auseinandersetzung mit der religiösen Umwelt sowie die innerkoranische Weiterentwicklung zentraler Themen nachgezeichnet werden.
Der Koran: Bd. 1: Frühmekkanische Suren. Poetische Prophetie Handkommentar mit Übersetzung von Angelika Neuwirth.
Siehe auch:
[...]Die Chronologie ermöglicht ihr, Entwicklungen der koranischen Verkündigungen zu zeigen: Mohammeds Visionen veränderten sich mit der Zeit. Die Themen, die ihn und seine Urgemeinde umtrieben, verlagerten sich. Anfangs ging es dem Propheten vor allem darum, den allmächtigen Gott zu verkündigen, der die Welt erschaffen habe, am Ende der Zeiten Gericht halten und die Toten auferwecken werde. Später, unter dem Eindruck wachsender Anfeindung gegen die Muslime, tauchen andere Gedanken auf: die Rechtfertigung des Propheten, die Abgrenzung von Judentum und Christentum, Geschichten von bestraften Ungläubigen und die alltäglichen Probleme des jungen Gemeindelebens. Neuwirths These dabei: Nicht nur Allah und sein Prophet, auch Mohammeds Zuhörer waren an diesem Prozess beteiligt - mit ihren Fragen, ihren Sorgen, ihren Bedürfnissen, auf die Mohammed reagieren musste. Die Muslime haben am Koran mitgeschrieben - aus muslimischer Sicht ein Sakrileg.[...]
http://www.welt.de/print/die_welt/vermi ... -Sure.html
Die Suren der mittelmekkanischen Zeit setzen neue Schwerpunkte. Aus dem intimen Gespräch zwischen dem göttlichen Sprecher und dem mit »du« angesprochenen Verkünder entwickelt sich nun eine koranische Theologie. Sie basiert auf der Vorstellung immer wiederholten göttlichen Sprechens durch Propheten. In ihrem Bestreben, sich an diese biblische Prophetengeschichte und damit das Gottesvolk der Israeliten anzubinden, entwickelt die Hörergemeinde zunehmend das Bewusstsein, selbst zu den Erwählten zu gehören. Sie deutet biblische Geschichte, vor allem das Buch Exodus, typologisch und versteht daher ihre eigene Gegenwart nicht nur als Fortsetzung der Geschichte der von Mose geführten Israeliten, sondern als deren Neuinszenierung. Mose tritt als Vorbild für den Verkünder hervor: Nicht nur erfolgt seine Berufung unter ähnlichen Bedingungen wie die des Verkünders, auch Moses Exodus wird in einer wichtigen Transzendenzerfahrung des Verkünders neu inszeniert.

Suren der mittelmekkanischen Zeit kreisen um Erzählungen, die den Mittelteil einnehmen. Mit dieser Struktur greift die Gemeinde auf die Praxis der älteren Religionen zurück: Die Suren reflektieren nicht mehr nur liturgische Vorträge, sondern bilden vollständige monotheistische Gottesdienste ab, bei denen – vom jüdischen und christlichen Modell vorgegeben – Lesungen biblischer Texte in der Mitte zu stehen haben. Das neue Gottesvolk folgt dem älteren auch liturgisch nach.
Der Koran: Bd. 2: Mittelmekkanische Suren: Ein neues Gottesvolk Handkommentar mit Übersetzung von Angelika Neuwirth (noch nicht erschienen: Januar 2017)

Man kann die (sehr detaillierten(!)) Ergebnisse der Forschung bereits auf der Website des Projektes einsehen.
http://www.corpuscoranicum.de/

Texte aus dem Kontext in diversen Sprachen (Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Arabisch, Altsüdarabisch, Syrisch, Altäthiopisch, Aramäisch, Pahlavi, Koptisch, Akkadisch) mit Übersetzung und Anmerkungen welche Stelle im Koran darauf Bezug nimmt.
http://www.corpuscoranicum.de/kontexte/uebersicht

Digitalisierte Versionen der Handschriften:
http://www.corpuscoranicum.de/handschriften/uebersicht

Verschiedene Lesarten des Textes:
http://www.corpuscoranicum.de/lesarten/index/

Literarischer Kommentar, vor allem der Suren der beiden Bände 1 und 2:
http://www.corpuscoranicum.de/kommentar/uebersicht

Dieses Projekt versucht als in einer größer angelegten Aktion die literaturwissenschaftliche Analyse des Korans zu leisten, während der Schritt bezugnehmend auf die Erkenntnisse dieser Analyse eine Exegese zu machen natürlich den islamischen Theologen vorbehalten bleiben muss. Man arbeitet im Sinne einer islamwissenschaftlichen Fleißarbeit den islamischen Theologen zu. Dabei kann es natürlich keine direkte Übernahme der biblischen historisch-kritischen Exegese geben, sondern man muss eine historische Exegese betreiben, welche der historischen Entwicklung der islamischen Offenbarung angemessen ist. Das heißt eine Offenbarung welche sich auf einen Text im Himmel bezieht, welche in einem historischen Verlauf von einigen Jahrzehnten sich zutrug, und dann auch sehr schnell von einer mündlichen Überlieferung in eine feste schriftliche überführt wurde. Das ist etwas Anderes als die Bibel, welche von maximal göttlich inspirierten Personen verfasst, eine lange und komplexe Redaktionsgeschichte hinter sich hat, die man mit der historisch-kritischen Methode sehr gut aufschlüsseln kann.
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