Also bitte, du sprachst wörtlich von "dem Unterschied zwischen einem Land, das sich die Demokratie selbst erarbeitet hat und einem, das die Demokratie aufgesetzt bekommen hat.". Und dass "der Schweizer im Unterschied zum Deutschen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit habe". Das kann man kaum anders als ein allgemeines Attest der minderen Demokratie- und Rechtsstaatsfähigkeit Deutschlands verstehen. Nun gut, du beziehst das also nur auf die ÖR-Thematik.
Ich habe das Rechtsstaatliche- und Demokratiefizit jedoch daraus abgeleitet, dass der deutsche Gesetzgeber in Sachen ÖR eine völlig absurde Abgabenregelung geschaffen hat:
- die den Beitragszahler völlig entrechtet, mithin grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien mit Füßen tritt
- keine Entlastung für niedrige Einkommen vorsieht.
- eine Steuer anhand windiger Umgehungstatbestände zu einem Beitrag umdefiniert
Dabei fällt eben auch auf, bereits die jetzige umstrittene Version der Schweizer Abgabenregelung viele dieser Mängel NICHT hat.
Fazit: Der deutsche Rundfunk-"beitrag" ist ein in Europa einmaliger Angriff auf Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzipien und wird es auch dann bleiben, wenn die No-Billag NICHT durchkommt. Da muss man schon die Frage stellen dürfen, wieso dergleichen ausgerechnet in Deutschland möglich ist.
Ist dieses Beispiel wirklich so alleinstehend und singulär? Oder kommt es dir evtl. nur so vor, weil du dich so intensiv damit beschäftigtst?
Das Thema Staatstrojaner hatte ich schon erwähnt. Oder nehmen wir die Strafffreiheit von Steuerhinterziehung in vielen Fällen in Deutschland, oder dass hier die Gesundheitspolitik massgeblich von Pharmalobbyisten bestimmt wird. Oder die Entmachtung des Verfassungsgerichts in Polen. Oder der Gewalteinsatz der spanischen Polizei gegen die Referendumsteilnehmer in Barcelona. Oder die fortgesetzten Ausnahmezustände in Frankreich. Oder dass in Italien ein nunmehr wegen Steuerbetrugs verurteilter Medienmogul mit Beziehungen zur Mafia jahrelang Ministerpräsident sein konnte. Oder...
Ich will damit die ÖR-Problematik nicht schönreden, ich bestreite nur die von dir suggerierte Einzigartigkeit der Rechtsstaatsverletzung in diesem Fall. M.E. gibt es hier noch ganz andere Hausnummern.
Was wie gesagt nicht heißen soll, dass man zum ÖR alles so lassen soll, wie es ist. Aber vielleicht ein wenig mit Augenmaß argumentieren, dann wird man auch ernster genommen.
Zwar ist richtig, das der Wähler auch beim Plebiszit Kompromisse akzeptieren muss. Jedoch ist es ein Unterschied ob ich (z.B. um den ÖR in halbwegs vernünftige Grenzen zu weisen) ein Zuviel an Privatisierung schlucken muss, oder ob ich gleich das ganze Programm der AFD mit akzeptieren muss. Insoweit spricht einiges dafür, dass der Wählerwille bei bestimmten Fragen durch direktdemokratische Elemente besser abgebildet wird.
Dem kann ich vollumfänglich zustimmen, es gibt aber andere Fragen, wo der Wählerwille so schlechter abgebildet wird, Beispiele habe ich gebracht. Ich bin nicht sicher, welcher Kategorie das ÖR-Thema zuzurechnen ist.
Und nur um die geht es. Selbst die Schweiz kann man bestenfalls als halbdirekte Demokratie bezeichnen.
Vermutlich aus gutem Grund.
Personelle Verstrickungen sind vor allem das Charakteristikum des Feudalsystems. Die Stärke ihrer Ausprägung ist umgekehert proportional zur Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtssstaates.
Dagegen ist in dieser Allgemeinheit wenig zu sagen.
ist eine andere Kiste und hier off-topic
Siehe oben. Aus deinem Usprungsbeitrag ging nicht hervor, dass du die mangelnde Rechtsstaatlichkeit und das Demokratiedefizit nur speziell auf die ÖR-Finanzierung beziehst, daher habe ich dieses andere Beispiel gebracht. Aber das haben wir ja nun geklärt.
History doesn't repeat itself, but it often rhymes (Twain). Unfortunately, we can't predict the rhyme.