Welfenprinz hat geschrieben:(19 Jan 2017, 09:51)
@frems: wie weit im Voraus wird denn versucht das quantitative Aufkommen des MIV abzuschätzen und einzuplanen.
Hängt immer von der Planung ab und was man betrachtet. Es gibt keine haargenauen Definitionen, da man immer im Einzelfall abwägen muss. Generell kann man bei der Raumplanung aber Pi mal Daumen sagen, dass kurzfristig fünf bis zehn Jahre sind, mittelfristig bis zu 25 und langfristig alles darüber hinaus. Drei Beispiele:
Neue Ortschaft bzw. Stadtteil wird errichtet und das ÖPNV-Angebot soll angepasst werden -> kurzfristige Schätzung
Stau einer Großstadt nimmt generell zu und die Stadt braucht eine Grundlage, um größere Infrastrukturprojekte zu konkretisieren -> mittelfristig
Neue Autobahnen (nicht nur Lückenschluss oder Ertüchtigung), Wasserstraßen/-kanäle, ICE- oder SGV-Trassen -> langfristig
Also nur mal so aus dem Bauch heraus,ohne Studie und Statistik:
-der private Pkw -Markt in Deutschland ist jetzt wohl in der Sättigungsphase(im Bestand,nicht unbedingt im Fahraufkommen)
-die geburtenstarken Jahrgänge fangen jetzt an in Rente zu gehen,in 10-15 Jahren rücken sie in die Heime ein
-verändertes Einkaufsverhalten,statt 30 Privat Pkws zu 3Einkaufsmärkten fahren 3Paketdiensttransporter aus den Zentrallagern zu den Kunden
-Urbanisierung und ein weiter ausgebauter ÖPNV,der nach den Erfahrungen der letzten Jahre dann auch immer besser angenommen wird.
Spätere Rentnergenerationen werden jedenfalls mobiler sein als die heutigen Senioren. Der Grund ist ganz einfach: Frauen. Auf Bundesebene gibt's eigentlich nur zwei Studien, die regelmäßig erhoben werden und das Mobilitätsverhalten untersuchen: das Mobilitätspanel (MOP) und Mobilität in Deutschland (MiD). Da wird alles untersucht: Anzahl der Verkehrswege, Verfügbarkeit von Fahrzeugen pro Haushalt, Anteil an Führerscheininhaber, zurückgelegte Kilometer pro Tag, Gründe für jeweilige Fahrten usw. usf. Und das nicht nur für Pkw, sondern auch Rad, Nah- und Fernverkehr, Fußwege und so weiter, und so fort.
Aber auch heutige Rentner sind mobiler als manch einer glaubt, z.B. weil die Distanzen zu Familienmitgliedern größer geworden sind. Dass drei Generationen in einem Ort bleiben, ist heute seltener als früher, insb. wenn die eigenen Kinder (und Enkel) in einer Großstadt leben und man selbst im Eigenheim einer Klein- oder Mittelstadt bleibt. Senioren sind ja auch soziale Wesen, auch wenn man manchmal dran zweifeln muss (im PF).
Die Zunahme des E-Commerce ist aber erstmal sinnvoll, auch wenn damit neue Probleme entstehen. Nichts ist schlimmer als die Vorstellung, dass jede Person jeden Einkauf mit dem Pkw macht. Ich bin da aber eher gespannt, was die Citylogistik noch so hergibt. Vor zehn Jahren galt eine Feinverteilung noch als die Zukunftschance schlechthin und teilweise laufen solche Projekte noch, z.B. in Nürnberg, Stuttgart und Hamburg. Da wird nachts ein Container vollgepackt, bis 5 Uhr morgens (also vor der Hauptverkehrszeit) an einen Ort geliefert und tagsüber verteilen Zusteller die Waren mit Lastenrad, Sackkarre oder kleine Alberto-Mobile. Reduziert immens Emissionen und Unfälle, sorgt für Arbeitsplätze und ist nicht per se unwirtschaftlicher, sofern Kommunen kooperieren und Flächen für die Container bereitstellen (und das tun sie in der Regel aufgrund der Vorteile für die Stadt). Aber nun rollen schon die ersten Lieferroboter durch die Städte und das Thema Drohnen ist auch noch in den Kinderschuhen.
Kurzum: Dein Bauchgefühl geht schon weitestgehend auch mit den Erkenntnissen der Studien einher, auch wenn es schwierig ist, pauschale Aussagen zu treffen, da jeder Ort eigene Rahmenbedingungen hat. Im Osten und Teilen des Westens geht der ÖPNV auch zurück, was an sich nicht tragisch ist, da man Plattenbauten am Stadtrand einstampft und die Innenstädte saniert. So hat man eine höhere Dichte und kürzere Wege, sodass viel zu Fuß und mit dem Rad zurückgelegt werden kann, während man manch unwirtschaftliche Straßenbahn-Linie einstampfen kann und damit die Gemeinde wieder Geld spart. Man darf ja nicht vergessen, dass der Kostendeckungsgrad des ÖPNV in schrumpfenden Städten häufig sogar unter 25% liegt, sprich, 75% der Betriebskosten kommen direkt vom Staat, um Mobilität zu gewährleisten. In den wachsenden Ballungsräumen ist es umgekehrt. Aktuell weiß ich's nicht genau, aber vor vier, fünf Jahren hat München Hamburg vom Thron gekickt und kam auf gut 90% Kostendeckung (Tickets, Werbeflächen, Verpachtung von Gewerberaum usw.).
Fahraufkommenerhöhend steht dem der höhere Dienstleistungssektor gegenüber,egal ob der Technikspezialist ,der durch ganz Deutschland zum Auftragsort fährt oder das Pflegedienstpersonal.
Den Fernfrachtverkehr jetzt mal ausgenommen (der wächst weiter beschränkt sich aber im wesentlichen auf die BABs):
Aus dem Bauch heraus würd ich sagen im Zeitraum 2025 -2035 sinkt das Pkw -Aufkommen spürbar(auch ohne weitere Effekte wie shared/uber/rent), evtl. sogar soweit,dass ein Rückbau von Strasseninfrastruktur ansteht.
Rückbau wär schon heute vielerorts sinnvoll, aber da scheitern die Kommunen oft an den Fördermitteln, die noch immer primär für Neubau zur Verfügung stehen und zum Teil für Sanierung. Das führt dann dazu, dass manch Kleinstadt in Mecklenburg vier, fünf Ortszugänge hat, aber ehrlich sagt, dass zwei ausreichend sind, aber man alle (maroden) Verkehrswege instandhalten muss. Da kann's schon mal passieren, dass die Kommune eine der Straßen ertüchtigt (-> ausbaut/erweitert), weil man dann an Landes- und Bundesmittel kommt, um die Fahrbahn komplett zu erneuern. Für Sanierung oder Rückbau gibt's wenig/nichts und man kann's sich nicht leisten. Ende der Geschichte: man vergrößert das Problem und schiebt es in die Zukunft.
Einen Rückgang erwarte ich aber nicht. Das wäre vielleicht dann der Fall, wenn die Bevölkerungszahl aus demographischen Gründen stark sinkt und wir eher 60-65 Mio. Bürger anpeilen. Das ist dann aber eher der Zeitraum bis 2050. Die Babyboomer sind ja in einer besseren gesundheitlichen Form als jede gleichaltrige Generation vor ihnen und der medizinische Fortschritt erhöht auch stets die Lebenserwartung.
Was aber gut möglich ist, ist ein Rückgang des MIV in Großstädten, weil man Straßen dichtmacht. Immer mehr Gebiete werden ja autofrei und das nicht irgendwo am Stadtrand einer "Öko-Siedlung", sondern innerstädtisch. Recht weit ist da Paris, was zum Ergebnis hat, dass die Leute schon aus Zeitgründen den ÖPNV nehmen. Ein Bekannter von mir lebte zwei Jahre in der französischen Hauptstadt und bekam Dienstwagen plus Fahrer gestellt. Hat er aber so gut wie nie genutzt, sofern er nicht ausnahmsweise mal in Richtung Peripherie fuhr. Der Pkw ist da einfach zu unattraktiv aufgrund vieler Staus und wenig Parkraum. Bei der U-Bahn weiß er, dass er grob 30 Minuten von Tür zu Tür braucht. Mit dem Pkw vielleicht mal 50 Minuten, mal 90 oder auch 120, wenn Bauarbeiten, Großveranstaltungen, Demonstrationen o.ä. ansteht, was ja nicht selten vorkommt. Wer pünktlich auf der Arbeit sein will, sollte das Kfz meiden.
Bin mal gespannt, wie sich das Wirtschaftswesen in der Zeit verändert. Da kommt man schnell in den Bereich Zukunftsforschung und das ist so ziemlich die Königsdisziplin bei Prognosen, auch wenn die Methoden heutzutage recht solide sind und mit früheren Hokuspokus-Überlegungen nichts mehr gemein haben. So ziemlich jeder Autobauer hat mittlerweile eine eigene Forschungsabteilung für diesen Bereich und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind das nicht.
Ich könnte es mir persönlich auch vorstellen, dass das Aufkommen aufgrund autonomer Taxis zunehmen könnte, da die Verkehrswege noch immer aufs Auto abgestimmt sind. Wer sich mit einem Klick aufs Handy ein Taxi vor die Füße bestellen kann und in 15 Minuten zuhause ist, der nimmt nicht unbedingt den ÖPNV mit mehreren Umsteigeprozessen und doppelter Fahrzeit, selbst wenn letzteres etwas günstiger ist. Insgesamt sind die Mobilitätskosten in Ballungsräumen ja eher niedrig. Viel Geld legen nur jene hin, die weit ins Umland ziehen und sich freuen, dass sie günstigere Bodenpreise bzw. Mieten vorfinden. Und das Umland wächst fast überall schneller als die Kernstädte selbst.