David Grossman hat sich im Buch "Die Kraft zur Korrektur – Über Politik und Literatur"
2007 mit dem Thema beschäftigt. Er war
– Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels 2010,
– Vater von Uri, gefallen im 2. Lebanonkrieg 2006
- und hat Anfang 2015
– Seine politischen Essays werden in Israel stark beachtet.
(Mich schrecken seitenlange Zitat-Tapeten vom Lesen ab; den Text im Zusammenhang würde ich bei Interesse zu-PN-en ...
Auszeichnungen von mir – bitte NICHT en-bloc zitieren!)
Hat jemand erstzunehmende Einwände gegen eines dieser Teilzitate?Grossman, David, Hanser 2007/8, 'Die Kraft zur Korrektur – Über Politik und Literatur', S. 58-65, hat geschrieben: [wir] würden hin und wieder auch verstehen können ..., dass jener legendäre, bedrohliche, dämonische Feind nichts anderes ist als eine Gemeinschaft von ängstlichen, gepeinigten, verzweifelten Menschen wie wir. Diese Einsicht ist in meinen Augen der zwingende Beginn jenes Prozesses der Ernüchterung und Versöhnung.
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Schließlich liegt es in der Natur jedes Kriegszustands, die Menschen in gesichtslose Wesen zu verwandeln, eindimensional und ohne eigenen Willen. […]
Die Literatur ... ruft uns dazu auf, uns aus der Umklammerung der „politischen Lage“ zu lösen und unser Recht auf Individualität und Einzigartigkeit zu reklamieren.
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... die jede Ernüchterung und jede Einsicht begleiten, nämlich dass unserem Talent, uns die Realität selbst so zurechtzubiegen, dass sie auf absolute und perfekte Weise allein auf unsere Bedürfnisse passt, eine Grenze geboten ist.
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Denn wenn wir uns in den anderen hineinversetzen [...] werden wir ihm nie wieder völlig gleichgültig gegenübertreten. [...] Es wird uns schwerfallen, ihn völlig zu leugnen. Ihn als „Unmenschen“ abzutun. Wir werden uns nicht länger mit der üblichen Leichtigkeit in der wir so geübt sind, davonschleichen vor seinem Leiden, vor seinem Recht, vor seiner Geschichte.
Vielleicht werden wir sogar ein wenig toleranter werden, was seine Fehler anbelangt. Schließlich werden wir auch seine Fehler als einen Teil seiner Tragödie begreifen; übrigens könnten wir – falls uns noch Kraft und Großzügigkeit bleiben – sogar die Bedingungen schaffen, die es unserem Feind erleichtern, sich aus seinen eigenen inneren Fallen zu befreien. Auch wir würden davon profitieren.
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Über den Feind zu schreiben bedeutet in allererster Linie, über den Feind nachzudenken. Das ist fraglos die Pflicht jedes Menschen, der einen Feind hat, und wenn er sich hundertmal im Recht fühlt. Auch wenn die Bosheit und die Brutalität und der Irrtum des Feindes auf der Hand liegen. Über den Feind nachzudenken (oder zu schreiben) bedeutet nicht, ihn zu rechtfertigen.
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über den Feind nachdenken. [...] Ihn nicht nur hassen oder fürchten, sondern ihn sich als Menschen oder Gesellschaft oder als Volk vorstellen, dessen Ängste, Hoffnungen, Glauben und Denkweise, Interessen und Wunden andere sind. Den Feind der Nächste sein zu lassen, mit allem, was dazugehört. [...] Es könnte uns helfen, die Realität an sich zu verändern, sodass dieser Feind sukzessive aufhören würde, ein Feind zu sein.
Ich möchte allerdings klarstellen, dass ich nicht davon spreche, „den Feind zu lieben“.
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Natürlich ist es nicht einfach, die Realität mit den Augen des Feindes zu sehen. [...] Wir riskieren den Verlust unseres Glaubens an uns selbst und daran, dass wir im Recht sind. Es birgt eine Gefahr der Erschütterung unserer „offiziellen Geschichte“ – die in der Regel auch die einzig „legitime“ Geschichte ist –, die ein verängstigtes Volk, ein Volk im Krieg, sich selbst erzählt.
Doch vielleicht könnte man diesen letzten Satz auch umkehren und die Behauptung aufstellen, dass ein Volk sich in einem andauernden Konflikt befindet, gerade weil es in einer bestimmten „offiziellen“ Geschichte gefangen ist ... mitunter über Generationen.
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Schließlich sieht der Feind in uns, dem Volk, das ihm gegenübersteht, das, was jedes Volk im Umgang mit seinem Feind an den Tag legt: Brutalität, Gewalt, Sadismus, Scheinheiligkeit, Selbstmitleid und doppelte Moral. Wir sind uns oft gar nicht bewusst, was wir alles für unsere Feinde ausstrahlen. Und folglich auch für andere, die keine Feinde sind, und letzten Endes – auch für uns selbst.
[…]
Und wenn dieser [Krieg] beendet wäre, würden wir dieses Verhalten unverzüglich einstellen und wieder zu der moralischen, anständigen Gesellschaft zurückkehren, die wir zuvor waren. Aber es ist denkbar, dass der Feind […] lange vor uns fühlt, wie sehr diese Mechanismen bereits ein Teil unserer Existenz als Volk und Gesellschaft geworden sind.
[…]
Würden wir uns selbst mit den Augen des von uns besetzten Volkes sehen, würden bei uns wohl die Alarmglocken läuten und uns wecken: Es wäre dann vielleicht noch nicht zu spät, zu erkennen, wie groß unsere Defekte und Blindheiten sind. Wir wüssten, wovor wir uns erlösen müssen und wie notwendig es für uns ist, die Lage von Grund auf zu verändern.
Gibt es Ergänzungen?
Übrigens wäre jeder Beitrag, Grossman wäre halt ein "Gutmensch", ziemlich daneben:
Er schreibt sehr scharfe politische Kommentare, ist aber eben auch Literat ...