Strategische Überlegenheit?
Ein Kommentar von Michael Wolffsohn, der u.a. an der Bundeswehrhochschule im München lehrte.
Iran und Russland sind dem Westen strategisch überlegen
Die iranischen Strategen und Russlands Präsident Putin sind den deutschen, europäischen und US-amerikanischen Strategen haushoch überlegen. Anders als im Westen denken Teherans Entscheidungsträger und Putin über den Tag hinaus in historischen Kategorien. Diese Behauptung sei an den Entwicklungen belegt, die seit dem im Sommer 2015 abgeschlossenen Atomabkommen zu erkennen sind.
Eine realistische Einschätzung:
Der Iran verfolgt außenpolitisch zwei Ziele. Erstens solle jede von außen drohende Auslöschung des Staates kategorisch ausgeschlossen werden. Nie wieder dürfe sich die Situation der 80er-Jahre wiederholen.
Damals, im Ersten Golfkrieg, drohte dem Iran durch Saddam Husseins Irak die staatliche Auslöschung. Deshalb beschloss die Führung Irans 1985/86, nuklear aufzurüsten. Die Atombombe sollte jeden möglichen Angreifer abschrecken und auf diese Weise die Staatlichkeit Irans dauerhaft absichern.
Ukraine und Libyen geben dem Iran recht
Wie richtig und weitsichtig diese Überlegung war, beweisen das Schicksal Libyens und das der Ukraine. Nachdem der nordafrikanische Diktator Gaddafi nuklear abgerüstet hatte, wurde er 2011 durch Intervention von außen gestürzt.
Ebenso die Ukraine. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war sie bereit, auf die sowjetischen Atomwaffen zu verzichten. Dafür erhielt sie Bestandsgarantien. Diese waren nicht das Papier wert, auf das sie gedruckt wurden.
Russland hat inzwischen die Krim annektiert und beherrscht den östlichen Landesteil. Mit Atomwaffen hätte niemand Libyen oder die Ukraine anzugreifen gewagt.
Zweitens will Teheran Israel als jüdischen Staat vernichten oder, wenn und weil unmöglich, mindestens so schwächen, dass es politisch erpressbar wird. Israel hat seit langem Atomwaffen.
Der Iran wollte nachziehen, wohl wissend, dass man A-Bomben zwar besitzt, aber nur im äußersten Notfall einsetzt. Dann nämlich, wenn die Auslöschung der eigenen staatlichen Existenz droht.
Ein atomares Patt zwischen Israel und dem Iran, so der richtige Denkansatz in Teheran, würde das Wettrüsten mit Israel wieder aufs Feld der herkömmlichen Waffen führen, denn keiner würde als Erster Atombomben abfeuern.
Langfristig kann Israel nur verlieren
Demografisch (Bevölkerungszahl) und ökonomisch (Rohstoffe plus Wissenschaftspotenzial) kann Israel den konventionellen Rüstungswettbewerb langfristig nur verlieren.
So weit der Gedanke. Zu seiner Verwirklichung bedurfte es zweierlei. Erstens musste der Iran strukturell seine nuklearen Militärfähigkeiten für den Fall der Fälle behalten und die Garantie erhalten, dass der iranisch-israelische Rüstungswettlauf sich tatsächlich auf konventionelle Waffen beschränkt.
Genau das hat Teheran durch das Atomabkommen mithilfe der USA, Russlands, Chinas, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und mit dem Segen der EU erreicht. Die Welt, auch Deutschland, jubelt und hält das für Friedenspolitik.
Russland, die „einzig unverzichtbare Macht“
Nun kauft er Waffen auf dem Weltmarkt. Vornehmlich in Putins Russland, denn der steht schon seit langem zu Teheran. Auch er erntet die Früchte seiner Strategie. Sie mag uns nicht gefallen, in seinem Sinne ist sie erfolgreich.
Putin wird nur mit sich reden lassen, sprich: auf weitere Großverkäufe verzichten, wenn der Westen ihm bezüglich der Ukraine, Krim und Syrien entgegenkommt. Heute ist Russland politisch die „einzig unverzichtbare Macht“, nicht mehr (wenn überhaupt jemals) die USA.
Putin gewinnt dabei zudem wirtschaftlich und militärisch. Er verkauft dem Iran seine alten Waffen. Durch den Erlös kann er neue, moderne entwickeln und bauen lassen. Putins alte Waffen sind für den Iran immer noch neuer als das bisherige Arsenal, das teils noch aus (ur)alten Schah-Zeiten, also aus den USA, stammt.
Das ist ein geschlossener Kreislauf. Der Iran verscherbelt seine alten Waffen in die Region und bekommt Einfluß und kauft neue. Mit diesem Erlös kann wiederum Russland neue Projekte anschieben und gewinnt Einflußräume. So, die Argumentationskette.
Der Iran verkauft oder verschenkt seine alten, gegen Israel und die westtechnologisch belieferten Araber unwirksamen Waffen an seine Partner und gewinnt auf diese Weise geografisch und politisch Boden.
Deutschland und der Westen bejubeln einen Frieden, den es nicht gibt, und fördern den Krieg. Nicht aus bösem Willen, sondern aus strategischer Unfähigkeit. Wenn westliche Erfolge so aussehen, fragt man sich, was Misserfolge sind.
https://www.welt.de/debatte/kommentare/ ... legen.html
Hm, soweit so gut. Ich schätze Wolffsohn als sachlichen, durchaus realistischen und sympathischen Fachmann. Ich frage mich allerdings, was die Kernaussage dieses Textes ist. Gestartet wird mit der These, daß Russland und der Iran "dem Westen" (also den Demokratien?) überlegen wären. Und zwar "strategisch". Was macht Russland, den Iran aus, was macht den Westen aus? Warum spricht er nur von Putin und nicht von Russland? Und warum vom Iran und nicht von der jetzigen Führung Irans als Person? Und was bedeutet strategisch? Das einzige, was meiner Meinung von Wolffsohn dahinsichtlich als Argument aufgeführt wird, ist:
Anders als im Westen denken Teherans Entscheidungsträger und Putin über den Tag hinaus in historischen Kategorien.
Ist das so? Ich glaube durchaus, daß "der Westen" auch in historischen Kategorien denkt. Vielleicht nicht Portugal, Irland, Italien oder Griechenland. In dieser hier angesprochenen Form. In dem Thread über den möglichen zu erwartenden Isolationismus der USA unter Trump zitierte ich die "Protokolle von Greenwich". Im Grunde genommen die angelsächsisch geprägte Wirtschaftspolitik, die möglichst global ausgeweitet werden sollte. Mit allen Mitteln. Das ist für mich durchaus eine historische Kategorie in großem Ausmaß. Früher, heute und auch morgen, falls Trump nicht aus Spaß meinte, daß damit nun Schluß wäre. Auch gegenüber der Sowjetunion/Russland und Persien/Iran.
Ich habe mich nicht in dem Maße mit Russland beschäftigt wie mit dem Iran. Im Falle Irans kann man tatsächlich losgelöst von der jetzigen Führung sagen, daß dort in großen Kategorien gedacht wird. Bernd Schmidbauer war von 1991-1998 der Hansdampf bei den dt. Nachrichtendiensten. Im engsten Kontakten zur Hisbollah und dem Iran. Der ganzen Region. Zum iranischen Atomprogramm sagte er einmal sinngemäß, daß der Iran sich zwar im Schneckentempo bewege, so daß es kaum bemerkbar wäre, aber konstant und zielstrebig. Peter Scholl-Latour oder die israelischen Nachrichtendienste sprachen ähnlich darüber. Der ganze Technologiekomplex, Atomtechnik, ist im Iran breit aufgestellt, durchstrukturiert, anders als z.B. in Libyen. Kurzum, dahinter steckt ein Wille und Zielstrebigkeit. Und auch diese Technik ist eingebettet in größere Kategorien, die rein über die Beherrschung des nuklearen Kreislaufes hinausgeht. Dabei geht es dem Iran nicht nur um Atomkraft oder Atombomben. So denkt oder dachte der Iran (nicht unbedingt nur die Mullahs) auch in der Region. Die USA hingegen, wie eine österreichische Politikwissenschaftlerin einst bemerkte, denke in Halbjahresplänen. Versuchen wir erstmal das, hauen wir da erstmal rein und dann schauen wir mal. Und dann noch mal andersherum. Schach und Poker, wie es auch beschrieben wurde. Vielleicht bedingen die Strukturen der Staaten solche Vorgehensmaßnahmen. Die USA sind eben eine schnellere und viel stärker verschlingende und konsumorientierte Gesellschaft. Trial and error ist dort so stark verbreitet, das ginge nicht mal in Deutschland. Z.B. bei Firmengründungen oder der Jobsuche.
Wieso denkt Putin/Russland in historischen Dimensionen, die mutmaßlich die des Westens übersteigen? Vielleicht sind Russland und der Iran einfach öfter schwer bedrängt und zerschreddert worden und den USA fehlen solche Erfahrungen? Jenseits des civil wars. Haben nicht den geografischen Luxus der USA. Und verfolgen deshalb eine strategischere Haltung? Was meint Wolffsohn?
Am Ende des Kommentars schreibt er davon, daß "Deutschland und der Westen" einen Frieden bejubeln, den es nicht gibt. Und das sie Krieg fördern. Das ist eher ein Vorwurf und hat mit Strategie nichts zu tun. Eher mit vorgeworfenen Verkennen der Realität und nicht wahrhaben wollen. Man kann natürlich Kritik am Vorgehen gegen Russland und dem Iran äußern. Bzw. dem von Wolffsohn "nicht Vorgehen" eben des Westens. Aber fördert das Krieg? Vielleicht. Was wäre die Alternative "heiß" gegen Russland und dem Iran vorzugehen? Wer A sagt, muß auch B sagen können. Das eine ist Theorie, daß andere Praxis. In der Praxis muß ich notfalls meine Drohungen durch- und umsetzen können. Kann "der Westen" das? Will man das und macht das überhaupt Sinn? Wolffsohns Erklärung ist für mich, daß "der Westen" die Lage nicht checken würde (Wer genau? Altes oder neues Europa? Rechte Regierungen oder sozialistische? Oder Wolffsohns Europa?). Zu etwas jubelt, was gar nicht da wäre. Glaube ich nicht in der Form.
Teheran könnte wieder die Luftwaffenbasis bei Hamadan für die russische Luftwaffe öffnen. Zuletzt ist ein russisches Kampfflugzeug vom Flugzeugträger ins Meer gefallen. Wenn der Träger wieder wegdampft, wäre die Luftwaffenbasis im Westen Irans wieder die Flugroute von Südrussland/Kaspistrecke nach Syrien hinein.
Iran Ready to Allow Russian Jets to Use Hamadan Base for 'Takeoff and Refueling'
The Russian Aerospace Forces may need to use the Hamadan airbase if the Admiral Kuznetsov aircraft-carrying cruiser deployed to the Mediterranean is far from the Syrian coast and cannot be used for airstrikes, said Viktor Ozerov, head of the Defense and Security Committee of the upper house of the Russian parliament.
Read more:
https://sputniknews.com/military/201611 ... adan-base/
Der Iran ist was ausländisches Militärpersonal betrifft sehr empfindlich. Seit 1946 gab es keine - offiziellen - ausländischen Truppenkontingente mehr im Iran.
Wolffsohn beschreibt in dem Artikel im wesentlichen einen Aspekt in der Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Iran in der Region. Das Erreichen bestimmter Ziele durch Zusammenarbeit im Rüstungssektor. Das mag stimmen, ist aber nur ein Aspekt von vielen zwischen den alten Nachbarn. Das war nie, ist nicht und wird nicht der einzige Aspekt der russisch-iranischen Beziehungen sein. Das ist viel breiter aufgestellt. Im Guten, wie im schlechten. Denn die beiden führten auch Kriege miteinander und auch heute ist es nicht spannungsfrei zwischen diesen. Für Wolffsohn, der sich einen Patrioten nennt, woran nichts schlechtes ist, sieht natürlich aber diesen sicherheitspolitischen Aspekt im Besonderen.